ArtView mit Gregor Törzs


© Gregor Törzs


BERLIN KREUZBERG - SPÄTER NACHMITTAG IM JULI
EINE FRAU geht schnellen Schrittes durch die Straßen. Es ist warm, draußen sind noch um die 20 Grad, ein leichter Regen verwandelt den Landwehrkanal in ein schmales Meer aus Tropfen und es riecht nach Erde und Sommer. Am Ufer herrscht munteres Treiben: Eine Gruppe älterer Herren spielt Boule, zwei Kinder kommen von links auf ihren Rädern, rechts auf dem Kanal schwimmt ein Schwan und ein paar Jugendliche haben sich zum Kiffen an einer Parkbank getroffen. Schön hier. Doch die Frau schaut immer wieder nur auf ihr Handy und hetzt über den Asphalt, sie ist vermutlich spät dran. Hat sie vielleicht eine Verabredung?
Ja, hat sie. Die Frau bin nämlich ich, und ich treffe hier am Paul-Lincke-Ufer gleich den Fotografen Gregor Törzs in seinem Atelier zum Interview. Und warum jetzt so ein langer, szenischer Einstieg, fragen Sie sich? Nun ja. Eine Szene ist die kleinste Einheit im Gesamtkontext Drehbuch, und davon hat Gregor früher so manche in den Händen gehalten, als er noch Schauspieler war. Doch dazu gleich mehr. Denn in diesem Stück geht es um die Kunst der Fotografie, die heute in seinem Leben die größte Rolle spielt.

BEGINN FLASHBACK

Zum ersten Mal begegnet sind mir die Arbeiten von Gregor Törzs vor drei Jahren auf einer Berliner Kunstmesse, am Stand der Hamburger Galerie Commeter/Persiehl & Heine, die ihn seit 2007 vertritt. Es war irgendwas mit Schmetterlingen, ich fand sie zu bunt, irgendwie auch kitschig, also ging ich weiter. Ziemlich dumm, so vorschnell auf den ersten Blick zu urteilen. Ich hatte keine Ahnung, wie sehr dieser mich täuschte und was ich verpasste. Zum Glück aber sollte ich noch eine zweite Chance bekommen, um richtig hinzusehen. Und hinzufühlen.


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„Hast du sowas schon mal gesehen?“, fragte mich ein paar Wochen später die Galeristin, als wir in München auf einer anderen Messe vor einer Fotografie eines Korallenriffs standen. Ganz unaufgeregt lag es vor mir, gleichzeitig aber so verführerisch schön, dass meine Augen jeden Millimeter des Bildes scannen mussten. „Die hat er unter Wasser fotografiert, mit einer selbstgebauten Kamera, Wahnsinn oder?“ Ein Spiel aus Licht und Schatten, in warmen Grautönen. Das Motiv perfekt fokussiert, in einer nie gesehenen Sinnlichkeit, unter Wasser fotografiert? Ich konnte nicht glauben, dass jemand so etwas kann. 

ENDE FLASHBACK

Obwohl in einem alten Fabrikgebäude gelegen, ist Gregor Törzs’ Atelier kein klassisches Loftstudio, sondern vielmehr Workspace mit Home Sweet Home-Atmosphäre. Eine gemütliche Mischung aus Fotowerkstatt und Salon, mit viel natürlichem Licht und seinen Fotografien an allen Wänden. Man spürt, dass er gern hier ist. Gerade aber fehlen an einigen Stellen ein paar Bilder, die sind in Hamburg in der Galerie und Teil seiner Werkschau. Das müsse man sich erstmal verdienen, eine Ausstellung so nennen zu dürfen, meint er. Er hat es verdient. Denn ein harmonisches Ganzes zieht sich durch sein Œuvre, wenn auch erst auf den zweiten Blick: die unverfälscht schöne Formensprache der Natur.


In Gregors Atelier © Wenke Vendt

In Gregors Atelier © Wenke Vendt


Was das Schlimmste sei, das ein Künstler machen kann, frage ich Gregor. „Seinen Job nicht ernst zu nehmen und zu beschützen“, sagt er. Das Leben läuft eben nicht immer nach Drehbuch, das hat auch er erfahren. Womit wir wieder beim Anfang dieses Textes wären. Seine Geschichte? Schon ziemlich hollywoodesk: Schule geschmissen, in einer Werbeagentur gejobbt, mit 19 dann nach Los Angeles ausgewandert, um dort bei Oscar-prämierten Szenegrößen das Handwerk des Filmemachens und der Lichttechnik zu erlernen. Anschließend macht er sich selbst als Director of Photography einen Namen und arbeitet unter anderem mit Geraldine Chaplin und Sophia Loren. Bis er durch einen Zufall Mitte der 90er für einen Werbespot selbst vor der Kamera steht. A star was born. Seitdem hat „der gutaussehende Hamburger“ die Hauptrollen in ca. 30 Kino- und Fernsehproduktionen gespielt.

Ein tolles Filmangebot jagte das nächste, Womanizer/Sunnyboy wird Paraderolle und Image. Doch das klischeehafte Jetset-Leben eines Schauspielers hat er nie gelebt. Während seine Filme in Deutschland große Erfolge feierten, Kolleginnen und Kollegen im Rampenlicht standen, im Borchardts Schnitzel aßen und die Boulevardmagazine mit ihren Geschichten füllten war er nicht dabei. Er war in Los Angeles, arbeitete dort weiter, flog nur nach Deutschland, wenn neue Filmprojekte lockten und stand lieber hinter der Kamera als auf dem roten Teppich. Am Ende wurde diese Abwesenheit zum Problem. Er war nicht am Ort des Geschehens und hätte seine Schauspielkarriere besser beschützen sollen, statt am Ende als One Trick Pony in die Belanglosigkeit abzustürzen zu drohen. Der harte Cut kommt mit 36, Gregor fährt sein Leben komplett runter, setzt alles auf Neustart - und mit einer alten Boxkamera vom Flohmarkt sollte schon bald ein neuer Plot beginnen.


A La Couleur © Gregor Törzs

A La Couleur © Gregor Törzs

A La Couleur © Gregor Törzs

A La Couleur © Gregor Törzs

© Boy on Safari Gregor Törzs

© Boy on Safari Gregor Törzs

A La Couleur © Gregor Törzs

A La Couleur © Gregor Törzs


Damals auf der Messe waren es übrigens Makroaufnahmen von Zikadenflügeln, an denen ich so achtlos vorbeigegangen bin. Sie gehören zu seiner Serie À la Couleur, einer farbenfroher, schöner und anmutiger als der andere. Ihre Geschichte musste in Farbe erzählt werden, obwohl Gregors Ursprünge eigentlich in der Schwarzweißfotografie liegen. Mit der Serie Boy on Safari nämlich gelingt ihm 2006 ein eindrucksvolles Debüt: Nur mit einer kleinen Boy-Kamera schießt er Fotos im New Yorker Naturkundemuseum, entwickelt sie und findet zwischen dem zufälligen Hell und Dunkel der Bilder sein Schwarz und sein Weiß. Nach einigen Versuchen mit anderen Druckverfahren wird schließlich der Platin-Palladium-Druck sein Markenzeichen, den er nach vielen Jahren des Ausprobieren heute meisterhaft beherrscht. Das hauchzarte Gampi-Papier, das er dafür meist verwendet, unterstreicht eindrucksvoll die Fragilität der Motive. Handle with care.

Rückblickend ist Gregor Törzs dankbar für jeden Fuckup, denn seine Erfahrungen als Schauspieler haben ihn in seiner fotografischen Arbeit unfassbar konsequent gemacht. Es geht nicht mehr um Posen, es geht um Haltung. Er ist sehr bedacht. In allem, was er tut, in allem, was er sagt, wirkt stets beherrscht und in sich ruhend. Seine innere Gelassenheit legt sich wie ein entzerrender Filter auf die äußere Umgebung, in seiner Gegenwart dreht sich die Welt ein wenig langsamer. Mehr Zeit, um sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.


Nob Talai NT02 Plate No.1, 2019 Pigment Print on Gampi Paper © Gregor Törzs

Nob Talai NT02 Plate No.1, 2019 Pigment Print on Gampi Paper © Gregor Törzs

Jellyfish 2 20216 © Gregor Törzs

Jellyfish 2 20216 © Gregor Törzs

WMF Uranium Vase Platinum Print on Kozo © Gregor Toerzs

WMF Uranium Vase Platinum Print on Kozo © Gregor Toerzs


Im Zeitalter eines kaum noch erfassbaren Überangebots an Bildern, an Fotos, an Medien im Allgemeinen laden Gregor Törzs’ Arbeiten ein, innezuhalten. Statt uns zu überfluten nimmt er uns mit unter die Oberfläche und wir tauchen im wahrsten Sinne des Wortes ab in eine Welt, die jenseits von Zeit und Raum existiert. Zeitlos heißt irgendwie aber immer auch „aus der Zeit gefallen“, und so wirken Gregor Törzs unprätentiös-edle Schwarzweißbilder heute schon wie Relikte aus der Vergangenheit - Bilder, die längst der Nachwelt gehören. Contemporary and vintage at the same time.

Obwohl er genau weiß, wie man Licht als Special Effect am wirkungsvollsten einsetzt, kreiert er seine Bildwelten mit dem, was da ist und verzichtet zumeist auf künstliche Lichtquellen. Manchmal spielt er mit ihnen, geisterhaft erscheinen so Kleidungsstücke im Durchlicht und tanzen Quallen in einem Schattenmeer. Oder er hält einfach nur das natürliche Fluoreszieren des Urans einer Glasvase fest. Zufall, dass die aussieht wie ein Atompilz? Sicher nicht.

Wann immer ich heute Schmetterlinge oder andere Insekten sehe, denke ich sofort an Gregor Törzs’ Fotografien und betrachte diese Geschöpfe voller Faszination. Als gestern Abend eine große Motte von außen an meinem Küchenfenster hing, kletterte ich auf das Fensterbrett und machte ein Foto von ihr. Beim Ranzoomen auf dem Screen staunte ich über die zarte Struktur und die feine Maserung ihrer Flügel… denn das hat mich Gregors Kunst gelehrt. Auch mal innezuhalten, den Blick auf der einzigartigen Schönheit der Natur ruhen zu lassen und zu würdigen.

„Demut besteht nicht darin, sich geringer als die anderen zu fühlen, sondern sich von der Anmaßung der eigenen Wichtigkeit zu befreien“, sagte der Mönch Matthieu Ricard. So macht es auch Gregor, wenn er seine Bilder für sich sprechen lässt. Emotion statt Ego-Show.


© Gregor Törzs

© Gregor Törzs


ABSPANN - EIN PAAR WOCHEN SPÄTER

Ich treffe Gregor zufällig bei der Eröffnung eben jener Kunstmesse, auf der ich 2018 seine Bilder zum ersten Mal sah. Gleiche Stelle, gleiche Welle, am immer stilvoll gestalteten Stand der Hamburger Galerie Commeter. Dieses Mal mit dabei: Maximus, der 150 Millionen Jahre alte Dickschupperfisch aus dem Berliner Naturkundemuseum, in seiner ganzen 1,10 mal 2,33 Meter großen Pracht und verglichen mit den anderen von Gregors Werken, die mal eben fix in die Handtasche passen würden, sprichwörtlich der dickste Fisch hier. Gut sieht er aus, der alte Knochen, hinter seiner aparten Glasscheibe. Weder Reflexionen noch Spiegelungen stören den Blick auf ihn, die einzigartige Törzs’sche Tiefenschärfe, sein Schwarz, sein Weiß  - alles kommt perfekt zur Geltung. Sein Alter sieht man ihm nicht an, er wirkt lebendig, als wäre er gestern erst irgendwo aus dem Teich gesprungen. Ein Fossil so delikat in Szene zu setzen, das schaffen nur wenige.

Es brauchte Zeit, Geduld und einen langen Atem, um anzukommen in der Kunst der Fotografie. Doch all die Energie hat sich gelohnt, denn heute lebt Gregor Törzs künstlerisch ungebunden, muss auf niemanden warten und braucht vor allem keine Anweisungen mehr von anderen, bis etwas im Kasten ist. Morgens wacht er mit einer Idee auf und hat alle Freiheit, sie umzusetzen. Licht, Kamera und Action!

Doch woher kommt eigentlich seine Inspiration, welche Orte oder Momente haben sein Schaffen geprägt? Ein paar davon hat er mir verraten. Vielen Dank für das schöne Gespräch und die ehrlichen Einblicke, lieber Gregor.

© Unsplash

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Hansestadt Hamburg Ein Mal Hamburger Jung, immer Hamburger Jung! Obwohl er seit über 10 Jahren in Berlin zuhause ist, fährt er immer wieder gern in seine Heimatstadt Hamburg. Dort leben seine Eltern, dort ist er aufgewachsen. Und über die B5 auf dem Motorrad in die Heimat zu kommen sei jedes Mal wieder ein tolles Gefühl, in die Kulisse der Stadt einzutauchen einzigartig. Vom Altonaer Fischmarkt bis rüber zur Hafencity, für ihn ist der Hamburger Hafen ein magischer, ehrlicher Ort. Die ureigene Geräuschkulisse, das geschäftige Treiben der Arbeiter: Hier wird malocht!

© Unsplash

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Los Angeles 1989. Ein historisches Jahr für Deutschland. Die Mauer fällt, David Hasselhoff singt von der Suche nach Freiheit… und Gregor Törzs findet sie, als er mit 19 das gutbürgerliche Hamburg verlässt und in der zweitgrößten Stadt der USA ankommt. Los Angeles wird gerade zur „culture engine“, die Kreativindustrie boomt - und der Hamburger Jung mittendrin. Hier lebt er 16 Jahre, wächst zum Mann heran und erlebt Multikulti at it’s best - für Gregor ist es seit jeher völlig normal, unter Menschen verschiedenster Herkunft zu sein, die sich alle mit Respekt begegnen. Umso trauriger macht ihn, dass Rassismus heute immer noch ein so großes gesellschaftliches Problem ist.

Ankerklause Maybachufer Berlin_© dronepicr

Ankerklause Maybachufer Berlin_© dronepicr

Berlin Kreuzberg 36, zwischen Schönleinstraße und Görlitzer Park - da ist Gregor zu Hause und fühlt sich sehr wohl in seiner Hood. Das Maybachufer vor der Haustür ist seine Joggingstrecke, regelmäßig Laufen für ihn wichtig, um den Kopf frei zu kriegen. „Keep it simple“ lautet auch hier die Devise: Hose an, Schuhe an, los. 45 Minuten in entspanntem Tempo und die Work-Life-Balance stimmt wieder.

© Wilmotte & Associés

© Wilmotte & Associés

Paris Photo Was für die Bildende Kunst die Art Basel ist, ist für die Fotografie die Paris Photo. „Die wichtigste und geilste Fotomesse der Welt“ findet seit 1997 jährlich im Grand Palais des Champs-Élyées statt, alles, was Rang und Namen hat, nimmt daran teil. Im Jahr 2013 sind Gregors Platinprints dort bei der Galerie Bernheimer Fine Art Photography aus München zu sehen, neben Größen wie Horst P. Horst oder Irving Penn. Als er dort seinen Künstlerausweis bekam habe er sich gefühlt wie ein 12jähriger mit neuem BMX Rad, erzählt er und grinst dabei bis über beide Ohren. 

© Gregor Törzs

© Gregor Törzs

Tauchen im Roten Meer Seit über 30 Jahren ist das Tauchen seine große Leidenschaft, und wer sich Gregors Bilder ansieht versteht auch, warum. Die riesige analoge Kamera, mit der er unter Wasser Fotos macht, hat er selbst entworfen. Ultramarine heißt sie, macht 24 x 36 cm große Negative und wiegt 35 Kilo, dazu kommen nochmal 25 Kilo Gewicht gegen den Auftrieb, um schwerelos durchs Wasser zu gleiten. Ob Korallenriff oder verspielte Fischschwärme: Was Gregor dort unten im Meer kreiert sind nicht einfach nur Unterwasserfotografien, es sind viel mehr Momentaufnahmen von Erinnerungen an eine Welt, in der wir Menschen immer nur zu Gast sein werden. 


Wenke Vendt

Wenke Vendt ist seit über 10 Jahren in der Berliner Kunstwelt unterwegs und hat für Galerien, Künstler:innen und Kunstmessen gearbeitet. Wenn sie nicht gerade selbst um die Häuser zieht, um neue Kunst zu entdecken, macht sie bei Kind und Kunst Kunstführungen und Workshops für Kinder und Familien. Denn Kunst ist für alle da!



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