Weißes Rauschen, bunte Geister - 15 Jahre sommer.frische.kunst in Bad Gastein
Die Sonne hängt über dem Tal, als hätte sie die letzten 15 Jahre nie anderswo verbracht. Das weiße Rauschen, dieses unaufdringliche Hintergrundgeräusch des Ortes, legt sich über die Tage wie ein Filter – eines, das alles etwas weicher, langsamer und gleichzeitig dringlicher erscheinen lässt. Es ist früher Morgen, ich trete auf den Balkon. Rechts trinkt der Co-Direktor der POSITIONS Berlin seinen Kaffee, links wird der gestrige Abend nochmals in Bildern und Gesten nacherzählt. Unten fließt das Wasser, oben die Gespräche. Dazwischen liegt Kunst.
Bad Gastein feiert 15 Jahre sommer.frische.kunst – ein Jubiläum, das nicht nur auf das Bestehende zurückblickt, sondern fast beiläufig zeigt, wie aus einer Idee ein Format wurde, das andere inspiriert. Kunst in alten Gemäuern. Gespräche auf satten Wiesen. Visionen, die von Einzelnen getragen werden, aber viele betreffen. Es ist ein Ort, der nicht nur Kulisse ist, sondern Co-Produzent. Die Macher dahinter sind Andrea von Goetz, Ike Ikrath und Olaf Krohne. An ihnen kommt man an diesem Wochenende nicht vorbei. Aber nun zu all den Happenings:
Im ehemaligen Kraftwerk – das Herzstück des Formats – versammeln sich 15 Positionen, die das Festival seit vielen Jahren begleitet haben. Kein schneller Rückblick, sondern eine präzise Montage individueller internationaler Handschriften, die in ihrer Unterschiedlichkeit das Programm fast besser beschreiben als jede Chronologie. Die Ausstellung trägt den Namen Welcome back! – und genau so fühlt es sich an. Die Werke zeigen ihre Entwicklungen und die die tiefe Verbundenheit der Künstler zur sommer.frische.kunst. Manch eine Karriere begann hier. Zu sehen sind unter anderem Arbeiten von Clemens Wolf, Gerwald Rockenschaub, Jorinde Voigt, Kazunori Kura, Noa Yekutieli, Philipp Fürhofer, Tjorg Douglas Beer und Ulrike Theusner. Wer will, kann durch die Räume laufen wie durch ein kollektives Gedächtnis, das nie behauptet, vollständig zu sein, aber viel über Entwicklung erzählt.
Auch das Astoria, selbst ein Ort zwischen Glanz und Geschichte, öffnet erstmals seine Türen für die art:badgastein x Positions. Anlässlich des Jubiläums lud die kleine, feine Messe der Alpen die POSITIONS Berlin ist, hier mit ihr ein ganz eigenes Messeformat zu gestalten. Was sonst in Messehallen oder urbanen Off-Spaces funktioniert, entfaltet hier eine neue Energie. Mit dabei sind Galerien wie Benden & Ackermann aus Köln/Düsseldorf, mianki.gallery aus Berlin, Zeller van Almsick aus Wien oder Carolyn Heinz aus Hamburg, die u. a. Werke von Gesa Lange, Katharina Büche oder Susanne Piotter zeigen. Es ist nicht nur ein ein verändertes Format, sondern eine atmosphärische Börse. Internationale Stimmen treffen auf lokale Eigenheiten. Gespräche entstehen nicht in Panels, sondern auf Balkonen, in Gängen, auf Wanderwegen.
Dazwischen: Kunst im Radon Pavillion, in leerstehenden Läden und an verlassenen Orten. Das Straat Museum bringt Street Art in den Ort, Pegasus Product zeigt das wohl höchstgelegene Kasperltheater der Welt. Und sogar der Berg selbst wird Ausstellungsfläche: Auf dem Graukogel platziert Theresa Hattinger ihre typografischen Zeichen – ehemalige „Slow Down“-Schilder aus dem Winter, die zwischen Küchen Kühen, Bäumen und Aussichtspunkten erscheinen, als wären sie immer schon da gewesen. Vielleicht ist das überhaupt die heimliche Qualität dieses Formats: dass nichts zu inszeniert wirkt und dennoch alles seine Bühne findet. Alles eine Frage des Kontexts.
Besonders eindrucksvoll jedoch: Gastein74 about Garstenauer. Zum 100. Geburtstag des ortsbildprägenden Architekten Gerhard Garstenauer initiiert das unabhängige Forschungsprojekt Gastein74 mehrere Ausstellungen zu seinen brutalistischen Bauten in Bad Gastein. Das Projekt Gastein74 – bestehend aus Leon Beu, Peter Lechner und Erich André Steiner – untersucht Gastein74 die Architektur, das Potenzial und die Lücken. Architektur, Design und Zukunftsfragen fügen sich in das mächtige Raumvolumen. Statt bloßer Rückschau geht es hier um Richtung. Wer bleibt? Wer baut? Und was braucht es, damit Vision nicht nur romantische Idee bleibt? In seiner Eröffnungsrede bringt Erich André Steiner die Sache auf den Punkt: „Wir brauchen echte Investoren. Nicht die schnellen, sondern die klugen. Die, die Orte lebendig halten, anstatt sie nur zu verwalten.“ Ein Satz, der bleibt – auch weil er nicht nach Event klingt, sondern nach Aufgabe.
Vielleicht liegt das Besondere der sommer.frische.kunst gar nicht in ihren Ausstellungen, sondern in ihren Zwischenräumen. In Gesprächen, die entstehen, weil jemand neben dir sitzt, der zufällig ein Atelier in Brüssel hat, oder eine Tochter in Tel Aviv. Weil man sich zum vierten Mal auf derselben Veranda wiedertrifft. Weil dieser Ort – so widersprüchlich, so eigenwillig – etwas freilegt, das sonst verborgen bleibt.
Clemens Wolf bringt es in einem Gespräch auf den Punkt. Als ich ihn nach seinem „Jahrgang“ fragte, also dem Jahr seiner Residency, begann er zu rechnen – nicht in Daten, sondern in Erinnerungen. Als er einst nur mit Skizzenbuch kam, blieb er wochenlang. Holte schließlich sein gesamtes Atelier aus Wien nach. Fand nicht nur Inspiration, sondern Energie. „Dieser Ort gibt so viel“, sagt er, fast ungläubig, obwohl es längst seine eigene Geschichte ist. Seither kommt er immer wieder zurück – nicht, weil er hier lebt, sondern weil ihn der Ort nie ganz losgelassen hat.
Sommerfrische – ein Begriff aus dem 19. Jahrhundert, als Städter Erholung im Ländlichen suchten. Heute steht er sinnbildlich für ein anderes Ausbrechen: aus Routinen, aus der Kunstblase, aus dem Städte-Sog. Es ist ein Format, das Bad Gastein wach hält. Und das längst Schule gemacht hat in den Alpen. Doch kaum ein Ort vereint Zerfall und Hoffnung so eindrücklich wie dieser.
Am ersten Abend im Hotel Regina – einer der Treffpunkte der Frühanreisenden – sitzen wir mit Jason Houzar und Olaf Krohne. Jason, einst Model, heute strahlender Gastgeber. Wenn er sagt, dass er hier geblieben ist, weil man vom Fenster aus alles sehen kann – meint er nicht nur Landschaft, sondern Möglichkeiten. Denn in Bad Gastein läuft Lack und Leder neben Wanderhose, wohnen Künstler neben Erholungssuchenden, und träumen manche längst von einer Zukunft, die anderswo längst versäumt wurde.
Die sommer.frische.kunst dauert nur wenige Tage. Aber sie bleibt. In Gesprächen, Ideen, Erinnerungen. Und wenn ich heute in München sitze, höre ich es noch – ganz leise: das weiße Rauschen, das einen daran erinnert, dass Kunst manchmal der leiseste, aber wirkungsvollste Motor ist, den Orte haben können.
Vielleicht war es genau das, was mich so früh aus dem Bett trieb.
sommer.frische.kunst
Welcome back!
Gastein74
Theresa Hattinger
Floor Sabelis
Akademie
26. Juni bis 31. August 2025
www.artbadgastein.com