Tina Berning und Anna Krammig - This Time I See It
Die Galerie Andreas Binder in München präsentiert mit This Time I See It eine eindrucksvolle Gemeinschaftsausstellung zweier Künstlerinnen, die sich nie begegnet sind: Tina Berning und Anna Krammig. Während Berning bereits zum zweiten Mal in der Galerie vertreten ist, zeigt Binder bereits zum vierten Mal Werke Krammigs. Die Ausstellung ist räumlich getrennt – ein kuratorischer Kniff, der die vermeintlich gegensätzlichen Positionen sichtbar macht und zugleich ihre subtile Verbindung offenbart.
Auf den ersten Blick könnten die künstlerischen Ansätze unterschiedlicher kaum sein: Tina Berning zeigt auf Papier raumlose Figuren und Porträts, während Anna Krammig leere, figurenlose Räume auf Leinwand malt. Doch beide beschäftigen sich mit dem, was bleibt – mit Spuren, Erinnerung und der Fragilität von Identität. Es geht weder um die Darstellung konkreter Orte noch um reale Personen, sondern um die Rekonstruktion von Erlebtem, Gesehenem, Empfundenem.
Tina Berning setzt sich in ihrer neuen Werkreihe erneut mit der Komplexität weiblicher Körperlichkeit auseinander. Ihre Figuren sind aus jedem räumlichen Kontext gelöst, ihre Gesichter verschwimmen, Körper entgleiten in Abstraktion. Linien scheinen außer Kontrolle und halten doch die Komposition zusammen. Als Ausgangspunkt dienen oft gefundene Fotografien, die Berning nicht zur Abbildung, sondern zur Sezierung von Ausdruck verwendet. Dabei entstehen Bilder, die zwischen Porträt, Erinnerung und Projektion changieren. Die Verwendung von gebrauchtem, gealtertem Papier betont die Brüchigkeit dieser Erinnerungen und verweist auf das Vergehen von Zeit.
Neu in dieser Serie ist ein weiterer Aspekt: Berning bezieht sich auch auf künstlich generierte Bildwelten – synthetische Abbilder, die durch ihre zeichnerische Bearbeitung ins Analoge zurückgeholt werden. Aus gesichtslosen digitalen Phantomen entstehen durch ihre Handzeichnungen empfindsame, beinahe intime Porträts. So verwebt sie künstliche und reale Erinnerungsfragmente zu einer vielschichtigen Reflexion über Identität, Erinnerung und Sichtbarkeit.
Anna Krammig richtet ihren Blick auf das Alltägliche – auf Räume, Dinge und Situationen, die auf den ersten Blick beiläufig erscheinen. Auch sie nutzt Fotografien und Zeichnungen als Grundlage, abstrahiert und verallgemeinert sie jedoch behutsam. Ihre Bilder changieren zwischen Realität und Fiktion, Dokumentation und Interpretation. Was sie zeigt, sind keine konkreten Orte, sondern Ausschnitte, Schatten, Spuren – Indizien für das Unsichtbare.
Dabei gelingt es Krammig, aus gewöhnlichen Beobachtungen eine stille Poesie zu schöpfen. Ihre Malerei ist ein langsamer, tastender Prozess, in dem sie Wahrnehmung reflektiert und Seherwartungen unterläuft. Die leeren Räume wirken nicht leer, sondern durchdrungen von einer melancholischen Stimmung, durchzogen von Abwesenheit und Gegenwart zugleich. Der sensible Blick der Künstlerin offenbart sich in der Art, wie Licht fällt, wie Schatten erscheinen, wie etwas fehlt – und genau dadurch präsent wird.
This Time I See It bringt zwei künstlerische Positionen zusammen, die einander auf stille Weise ergänzen. Sowohl Tina Bernings Porträts als auch Anna Krammigs Räume erscheinen vertraut und fremd zugleich. Sie lassen sich als Matrix eines kollektiven und subjektiven Gedächtnisses lesen – ein Speicher für Bilder, die sich dem Konkreten entziehen, um im Betrachten neue Geschichten zu erzählen. Durch ihre gemeinsame Präsentation entsteht ein Dialog, der über die Werke hinausreicht – hin zu uns selbst als Erinnernde und Betrachtende.
Tina Berning und Anna Krammig - This Time I See It
05. Juni bis 02 August 2025
Galerie Andreas Binder/ Knöbelstraße 7/ 80538 München
Dienstag bis Freitag 11 - 18 Uhr, Samstag 11 - 15 Uhr