Meine Sonne – Kailiang Yang
Wie breit gefächert kann die Kunst eines einzelnen Künstlers sein? In der Galerie Tom Reichstein stellt der gleichnamige Galerist bis zum 6. September den chinesischen Künstler Kailiang Yang aus – und das nicht zum ersten Mal. Auf den Tag genau fünf Jahre ist es nämlich her, dass der Maler die Wände der Galerie schmückte. Zur Vernissage am 17. Juli 2020 wurde die Ausstellungshalle gerade frisch eröffnet.
Allerdings wurden damals in erster Linie großformatige Arbeiten gezeigt: vier auf drei Meter große Werke, die dank der hohen Wände der Ausstellungshalle gut zur Geltung kommen konnten. Dieses Mal ist das Format vielleicht ein anderes – dem Effekt und der Geltung tut das aber keinen Abbruch.
Nun aber erstmal zurück zum Anfang: Die Ausstellung unter dem Titel Meine Sonne ist in zwei, vielleicht auch eher drei Teile geteilt. Beginnt man einen Rundgang durch die Galerie, startet man unwillkürlich mit den etwas älteren Bildern des Künstlers. Sie entstanden bereits 2009, wirken wie Fenster in die fernöstliche Kultur und zeigen Ausblicke in einen von typisch-asiatischen Holzrahmen umschlossenen Hintergarten, auf Bambus und Beton. Neben Kailiang Yangs Bildern an der Wand steht außerdem ein großer, von ihm bemalter Paravan im Raum, der, gemeinsam mit den anderen Werken, ein großes Bild entstehen lässt und den Ausblick quasi fortführt.
Biegt man von dort aus um eine kleine Ecke, erstreckt sich vor einem der zweite der Teil der Ausstellung: ein fünfteiliges Werk, wovon jedes Bild zwei Meter lang und mindestens ein Meter zwanzig breit ist. Sie alle fügen sich zu einem großen Ganzen zusammen, zeigen ebenfalls Ausblicke in einen Bambusgarten und simulieren – passend zu den großen Fenstern der Galerie – den Lichteinfall. „Es ist eine Serie, die er durchgehend produziert und die sich über Jahre hinweg zieht“, erklärt Tom Reichstein. „Er malt die Bambusgärten immer und immer wieder.“ Dabei hat der Bambus in der chinesischen Kultur eine besondere Bedeutung und ist aufgeladen mit vielen Charaktereigenschaften, so der Galerist. „Er steht für eine tiefe Verwurzelung, eine Geradlinigkeit, dass man nicht leicht zu brechen ist und elastisch im Wind bleibt. Man spricht vom Bambus als dem Gentleman, dem jeder chinesische Mann nacheifern sollte. Wenn er es schafft, wie der Bambus zu sein, dann lebt ein besonders gutes, stolzes, aufrichtiges Leben.“
Tatsächlich aber sind die Bambusgärten in Jinan, wo Kailiang Yang ursprünglich herkommt und mittlerweile wieder lebt, gar nicht unbedingt vertreten. Man findet sie vielmehr im Süden von Chinas. Das hält ihn jedoch nicht davon ab, sie wieder und wieder zu malen – denn dafür muss er schließlich nicht vor Ort sein. „Man könnte ihn als Flaneur beschreiben, der vormittags spazieren geht und sich nachmittags in sein Atelier zurückzieht, um zu malen“, beschreibt Reichstein seine Vorgehensweise. „Er malt mehr oder weniger die Eindrücke aus seiner Erinnerung.“
Ganz ähnlich verhält es sich auch mit seinen neuesten Bildern und damit dem dritten Teil der Ausstellung: Seite an Seite hängen sie an der rechten und größten Wand der Galerie. Doch während es vor einigen Jahren noch echte Riesen waren, die dort von Kailiang Yang hingen, sind es heute kleine Formate, gerade mal um die 24 mal 40 Zentimeter. „Bei dieser Ausstellung wollten wir zeigen, was malerisch möglich ist – auch in anderen Dimensionen. Der Künstler sagt selbst von sich, er müsse mittlerweile nicht mehr ins Monumentale gehen, sondern beherrsche auch die kleinen Größen.“
Auch diese kleinen Werke malt Kailiang Yang aus seiner Erinnerung. Sie zeigen mal eine kleine Brücke, dann wieder Weiden, angestrahlt von einer fast schon rot-schimmernden Sonne oder verschneite Straßen, die in der Ferne kleine Lichter vermuten lassen. Die Werke befinden sich stets auf einer kleinen Holzplatte, die der Künstler mit etwas Acryl-, in erster Linie aber Ölfarbe bemalt. Weil er sich selbst in den Techniken oder Werkzeugen, die er nutzt, nicht beschränken möchte, greift er mal zum Pinsel, dann wieder zum Bleistift oder zum Kugelschreiber, um gewisse Elemente zu erschaffen. Auch hier betont der Galerist noch einmal: „Alles, was Kailiang malt, malt er aus der Erinnerung heraus. Es sind reale Orte, oft auch dieselbe Straße mehrmals oder dieselben Wege, die er in seiner Heimat seit Jahren geht.“
Auch wenn der Stil des Künstlers, stets erkennbar ist, gibt es doch große Unterschiede zwischen den stark fernöstlich-geprägten Bildern der Bambusgärten und denen der winterlichen Landschaften, die genauso gut eine Straße aus seiner Heimat wie eine Allee in Brandenburg darstellen könnten. „Bevor er 2019 zurück nach China ging, lebte er 15 Jahre lang in Berlin und Hamburg. Wenn er aus der Erinnerung malt, verschwimmt das alles ein wenig und trifft sich doch immer wieder“, erklärt Reichstein. „Er ist und bleibt eine Art Grenzgänger.“
Den starken europäischen Einfluss merkt man auch an Kailiang Yangs Interpretation von Van Goghs Nachtcafé: Das kleine Bild, dass ein wenig aus der Reihe fällt, erinnert mit seiner Farbgebung aus kräftigem Blau und Gelb sowie dem Sternenhimmel spätestens beim direkten Vergleich sehr an das Original und ist ein deutliches Zeichen für das Leben in zwei Welten, dass er führt. „Ausgebildet wurde er in China und in der asiatischen Maltradition – wie wir am Bambus sehen. Doch an der Hamburger Hochschule hat er schließlich gelernt, aus dem strengen, akademischen Korsett, das man in China lernt, auszubrechen und freier zu malen. Das ist ein schönes Beispiel dafür“, so Reichstein.
„Für mich ist er einer der besten Maler“, schließt der Galerist. „Denn es gibt viele, die ihr Handwerk beherrschen und jeder von ihnen hat seine eigene Handschrift. Aber bei Kailiang Yang sieht diese Handschrift einfach noch einen Tick besser aus.“
Meine Sonne – Kailiang Yang
18. Juli – 6. September 2025
Tom Reichstein | Stockmeyerstraße 41 (Halle 4J) | 20457 Hamburg
Täglich nach Vereinbarung geöffnet