Body Performance - Wechselverhältnis von Exhibitionismus und Voyeurismus
In der aktuellen Ausstellung Body Performance in der Helmut Newton Stiftung werden erstmals Fotosequenzen vereint, deren Ursprung in Performances, in Tanz- und Bühnengeschehen liegt, ergänzt durch eine paraphrasierte Street Photography und konzeptionelle Bildserien.
Stets steht der Mensch und sein Körper im Mittelpunkt, und der Fotograf oder die Fotografin hat die jeweilige Aktion dokumentiert oder interpretiert, häufig auch initiiert. Mit den Werken der dreizehn international renommierten Künstler*innen entsteht in den Ausstellungsräumen der Stiftung eine multiple Bühne, auf der wir unterschiedlich agierende, fotografierte Menschen sehen, die in parallele, tagtraumartige Realitätsebenen zu rutschen scheinen.
Eine für das Werk von Helmut Newton relativ unbekannt gebliebene Serie, die seit den 1980er-Jahren in Monte Carlo entstand, sind die Aufnahmen des dortigen Balletts. Statt auf einer klassischen Bühne fotografierte er die Tänzer und Tänzerinnen auf den Straßen Monacos, den Treppenstufen hinter dem berühmten Casino, nahe eines Notausgangs im Theatergebäude oder nackt bei sich zuhause.
So deklinierte er auch mit den Akteuren des Ballet de Monte Carlo eine Kompositionsidee durch, die unnachahmlich für sein Werk steht: Naked and Dressed – und thematisiert erneut das Wechselverhältnis von Exhibitionismus und Voyeurismus. Dieses begegnet uns ebenfalls bei Bernd Uhlig und seinen Interpretationen der Choreografien von Sasha Waltz, die er seit vielen Jahren begleitet. .
Die italienische Künstlerin Vanessa Beecroft stellt in ihren großangelegten Performances nackte oder bekleidete Frauen auf und aus, was einer Tanztheaterinszenierung nicht unähnlich ist. Dies geschieht meist in Galerien und Museen, und häufig sind es öffentliche Veranstaltungen. Die Frauen sitzen dort an langen Tischen oder bilden stehend eine Formation, sie bewegen sich während der stundenlangen Aktionen nur im Zeitlupen-Tempo, während Beecroft diese „bewegte Bewegungslosigkeit“ fotografisch dokumentiert.
Die Performance und ihr Bild sind letztlich gleichberechtigt im Werk. In ihrer legendären Performance VB55 in der Berliner Nationalgalerie hat sie im Jahr 2005 einige Dutzend Frauen in transparenten Nylonstrumpfhosen aufstellen lassen; sie waren bekleidet und doch nackt, was Helmut Newtons Bildidee Nacked and Dressed interessant paraphrasiert.
Erwin Wurm geht einen absurd-humoristischen Schritt weiter, wenn er Menschen um eine Miniperformance vor der Kamera bittet, die nur eine Minute dauert. Die Mitspieler verwandeln die Straße, Innenräume oder eine Erwin Wurm- Ausstellung mit entsprechenden interaktiven Objekten zu einer Bühne für die One Minute Sculptures. Es sind mal kuriose, mal alberne Verrenkungen und Verdrehungen, die Wurm sich für die Besucher ausdenkt, die für einen kurzen Zeitraum selbst zu einem Kunstwerk werden.
Viviane Sassen dagegen begeistert seit Jahren die Modefotowelt. Auch sie arbeitet in erster Linie mit dem menschlichen Körper, etwa indem sie ihn aufs Äußerste für eine Aufnahme verdreht. Die Modelle werden von ihr eigenwillig choreographiert und inszeniert. Gelegentlich kehrt sie sogar das allgemein gültige statische Gefüge von oben und unten um, was zu einer gewissen Orientierungslosigkeit in der Rezeption führt.
Irritationen begegnen uns ebenfalls bei Cindy Sherman, und zwar bereits in der frühen kleinformatigen Schwarz-Weiß- Serie Untitled Film Stills, in der sie Ende der 1970er-Jahre wie eine Schauspielerin in immer neue Rollen zu schlüpfen scheint. Mal steht die junge Frau im Bad und betrachtet sich im Spiegel, mal schaut sie, auf einer niedrigen Fensterbank sitzend, aus dem Fenster einer Wohnung.
So sehen wir in der Helmut Newton Stiftung die unterschiedlichsten Ansätze und Ausprägungen für künstlerische Aktionen und Körper-Performances: Menschen tragen Kleidung für ungewöhnlich inszenierte Modebilder, sie agieren vermeintlich irrational auf Straßen und Hochhausdächern oder bewegen sich minimalistisch auf Felsen und in Museumsräumen, schließlich als Tänzer und Tänzerinnen auf und neben der Bühne.
In der Ausstellung begegnen uns Rollenspiele und Grenzüberschreitungen des Körperlichen – zeitgenössische fotografische Blicke auf die verschiedensten visuellen Aspekte zu Körper und Raum, Tanz und Bewegung. Und so geraten in unserer Rezeption auch Fragen von Fremd- und Selbstwahrnehmung, von Identität und Emotion in den Blick.
Body Performance
30. November 2019 bis 20. September 2021
Helmut Newton Foundation / Jebensstraße 2 / 10623 Berlin
Dienstag bis Sonntag 11-19 Uhr