ArtView mit Kristin Hjellegjerde
Dass Kristin Hjellegjerde einmal eine international erfolgreiche Galeristin sein würde, war nicht vorherzusehen: „In dem Ort, in dem ich groß geworden bin, gab es keine Kunst“, erzählt die Norwegerin lachend. „Nur Elche, Wasser und Berge.“ Die Rede ist von Sykkylven, einem idyllischen Städtchen in den Fjorden. Zu idyllisch für einen Freigeist wie Kristin: „Sobald ich laufen konnte, rannte ich weg, jeden Tag“, erinnert sie sich.
Da man von Sykkylven aber nicht so leicht wegkommt – ohne Fähre geht gar nichts und nach der Fahrt übers Wasser sind es immer noch sieben Autostunden bis Oslo – entdeckte Kristin eine andere Flucht für sich: die Literatur. „Ich habe Bücher verschlungen.“ Unter anderem die historischen Romane der Nobelpreisträgerin Sigrid Undset, nach deren Heldin ihre Eltern sie benannt haben: Kristin Lavranstochter. Was sie an der Romanfigur so bewunderte: „Ihre Stärke“, erklärt sie, ohne zu zögern.
Mit 19 Jahren war es dann endlich so weit: Kristin verliebte sie sich zum ersten Mal in ein Kunstwerk: in Anselm Kiefers „Hohepriesterin“. „Eine Skulptur, in der Buch und Kunst aufeinandertreffen“, sagt sie. Entdeckt hatte sie sie im Astrup Fearnley Museum in Oslo. Schon damals war die Sammlung, die sich mittlerweile in zwei Gebäuden von Renzo Piano befindet, cutting edge, so Kristin. „Das Museum war eines der ersten, das Damien Hirst zeigte.“ Heute stellt die Norwegerin selbst junge Künstler und Künstlerinnen aus und hat Ausstellungsräume in London, West Palm Beach und Berlin. Gerade erst ist sie mit ihren Galerieräumen von Mitte nach Schöneberg in die Mercator Höfe an der Potsdamer Straße gezogen..
Doch trotz der Liebe zur Kunst – an eine Karriere als Galeristin dachte Kristin damals nach der Schule noch nicht. Sie wollte erst mal nur raus aus Norwegen, die Welt sehen. Und so begann sie, während ihres Studiums der Literatur, Geschichte und Kriminologie, zu reisen. Erst lebte sie in Florenz, dann in Bangkok, wo sie anfing, als Model zu arbeiten, und schließlich in Singapur. „Eine wilde Zeit“, sagt sie rückblickend, die sie in vollen Zügen genoss. Denn Angst vor Neuem hat Kristin nicht. Im Gegenteil: „Ich glaube, dass Angst die eigentliche Gefahr für Menschen und die Gesellschaft ist.“
Zurück in Norwegen begann sie wieder zu studieren. Diesmal darstellende Kunst, um dann bald erst in New York, dann in Los Angeles eine Schauspielschule zu besuchen. Sie nahm in Norwegen ihr Studium wieder auf, diesmal das der darstellenden Kunst, um dann doch wieder auszubrechen: Erst besuchte sie in New York, dann in Los Angeles eine Schauspielschule. „Aber mein Akzent war zu stark“, erzählt die Weltenbummlerin. Die großen Rollen bekamen ihre Kommilitoninnen. Doch kein Grund, Trübsal zu blasen. Stattdessen begann sie, selbst Theaterstücke zu schreiben. Und gleichzeitig wuchs eine Sehnsucht in ihr: „Mich mit Menschen zu umgeben, die so gern lesen wie ich.“
Und deshalb hieß es bald: zurück nach New York. Wieder musste sie sich neu erfinden, wieder brauchte sie einen neuen Job: „Ich wurde Immobilienmaklerin, weil das die schnellste Ausbildung war, um einen neuen Job zu bekommen. Ein einmonatiger Intensivkurs und ich hatte einen Job, da ein Freund, der ein Chef bei Interscope Records war, eine Immobilienfirma gegründet hatte.“, erzählt Kristin. Und wenige Wochen später verkaufte sie Wohnungen auf der Upper Westside. Überraschenderweise stellte sich hier die Weiche für ihr Leben als Galeristin. Denn: „Ich merkte, dass ich eine gute Verkäuferin bin, entschied mich aber bald, nur noch Dinge zu verkaufen, die mir wirklich am Herzen liegen.“ Und das war und ist die Kunst.
Ihr ganzes Leben hat Kristin immer wieder Ausstellungen besichtigt, Künstler kennengelernt und sie in ihren Ateliers besucht. Ihre Lieblingsmuseen sind das Louisiana bei Kopenhagen, das Kröller-Müller Museum im niederländischen Nationalpark De Hoge Veluwe und das Metropolitan Museum in New York: „Es gab eine Zeit, in der bin ich immer nur in einen Raum im Met besuchte um mir zum Beispiel für die Exponate der Etrusker oder Ägypter viel Zeit zu nehmen. Was für ein Luxus!“ Am beeindruckendsten fand sie die ozeanische Abteilung im Michael-C.-Rockefeller-Flügel.
Ebenfalls sehr inspirierend sei das Norton Museum in Palm Beach: „Mein Mann war der Projektarchitekt.“, sagt Kristin stolz. Den Norman-Foster-Architekten Michael Wurzel lernte sie in New York kennen. Mit Michal, wie sie ihn nennt, und ihren beiden gemeinsamen Söhnen zog sie schließlich nach London, um dort ihren Plan, eine eigene Galerie zu eröffnen, umzusetzen. Ein weiteres Mal fing sie von vorne an, belegte einen Art-Business-Kurs an der Universität und reiste durch die ganze Welt, um junge Künstler und Künstlerinnen zu entdecken. „Das ganze Geld vom Verkauf unseres New Yorker Hauses ist in das Projekt geflossen. Zum ersten Mal in meinem Leben machte ich mir wirklich Sorgen.“
Der Startschuss fiel vor dreizehn Jahren: „Die norwegische Botschaft fragte mich, ob ich nicht gleichzeitig mit der großen Londoner Munch-Ausstellung meine Galerie eröffnen wolle.“ Kristin wollte. Doch der Haken war: Sie hatte noch gar keine Räume! „Da entdeckte mein Mann einen alten Krämerladen, der geschlossen werden sollte“, erzählt sie. „Er gehörte einem indischen Ehepaar. Wir gingen mit den beiden ein Bier trinken und verstanden uns auf Anhieb. Sie sagten, wir seien wie sie, als sie damals nach London zogen.“ Kristin bekam den Laden und eine Skulptur des Gotts Ganesha, der ihr Glück bringen sollte. Und das brauchte sie, nun steckte Kristin ihr letztes Geld in die Renovierung des Ladens. Der Rest ist Geschichte.
Wie es ihr gelungen ist, trotz aller Widerstände ihrem Traum treu zu bleiben? „Dieses Talent habe ich von meinem Vater“, sagt Kristin. Er war Möbelproduzent und stellte in den 1980er-Jahren unter anderem einen Stuhl her, den kein anderes Unternehmen hergestellt hätte. So sehr war seine Form seiner Zeit voraus. Wohl auch deshalb heißt er „Ekstrem“ – abgeleitet vom Nachnamen des Designers Terje Ekstrøm. Ein Stuhl, der aussieht, als habe man nur sein Gestell, ohne Sitzfläche und Rückenlehne, gepolstert. „Alle schüttelten den Kopf über meinen Vater, doch er glaubte an das verrückte Ding.“ Der Ekstrem war kein finanzieller Erfolg, steht aber heute in Designmuseen und wurde gerade vom Kopenhagener Stoffhersteller Kvadrat mit einem Samtbezug neu eingekleidet.
Was sie auf dem Weg zur erfolgreichen Galeristin noch inspiriert hat? „Bücher über Kunsthändler, Sammler und Galeristen“, erklärt sie. Zum Beispiel über Peggy Guggenheim, Ernst Beyeler und Leo Castelli. „Überhaupt schenken mir Bücher die besten Ideen.“
Ein weiteres Erfolgsgeheimnis von Kristin: ihre Entschlussfreudigkeit. „Je schneller und früher man sich entscheidet, desto mehr Zeit bleibt für die Umsetzung.“ Und damit sie keine ihrer Ideen vergisst, hat sie immer ein Notizbuch in ihrer Handtasche. Zur Zeit ist es Paseo von Christian Lacroix mit einem goldenen Umschlag.
Und was tut Kristin, wenn sie mal nicht auf Kunstmessen oder in Ateliers und Ausstellungen unterwegs ist? „Ich liebe es, sonntags für meine Söhne Kuchen zu backen, man kommt so schnell zu einem Ergebnis!“ Aber manchmal sitzt sie auch einfach da, gerne mit einem Glas Champagner von Billecarte-Salmon und, noch viel wichtiger, mit einem schönen Blick in die Natur, „am liebsten aufs Wasser“, seufzt sie. Und plötzlich erkennt man in Kristin nicht nur die international erfolgreiche Galeristin, sondern für einen Moment auch das Mädchen der Fjorde.