Vienna Art Week 2023


Unheimliches Ambiente: Die Ausstellung „House of Inciting Passion“ findet in einem Abbruchhaus im 15. Wiener Gemeindebezirk statt. Foto / Copyright: Wolfgang Thaler


Festivalzentrale und Ausstellungsort der Vienna Art Week ist in diesem Jahr ein Abbruchhaus, das als effektvoller Hintergrund für die Schau House of Inciting Passion dient und Arbeiten von Künstlern wie Monica Bonvicini, Lars* Kollros und Bill Viola zusammenbringt. Wir haben in Wien eine Madonna mit Kind und Smartphone sowie einen Dark Room mit bestickten Gardinen entdeckt und später Nita Tandon in ihrem Atelier getroffen, das in die Tiefe führt.

Läuft man durch Wien, entdeckt man an jeder Ecke Spannendes und zuweilen auch Skurriles. Architektonische Highlights wie das Michaelerhaus von Adolf Loos, die imposante Hofburg oder das reich gestaltete Ladengeschäft der Glasmanufaktur Lobmeyr. Besonders interessant aber ist Wien dort, wo unerwartet Brüche im Stadtbild auftauchen, seien es gestalterische, gesellschaftliche oder soziale. In diesem Sinne ist die diesjährige Festivalzentrale der 17. Ausgabe der Vienna Art Week solch ein Bruch und ziemlich gut geeignet, um Werke auszustellen, die um das Thema Leidenschaft(en) kreisen. Bei dem heruntergekommenen Gebäude nahe den Bahngleisen handelt es sich um eine ehemalige Druckerei und Weberei in der Rosinagasse im 15. Wiener Gemeindebezirk. Hier und da trifft man dort auch auf Relikte aus der Vergangenheit des Gebäudes, darunter Badfliesen mit Pfauenmotiv, halb heruntergerissene Waschbecken, Spinde mit den obligatorischen Nacktbildchen oder Büromöbel Typ „Eiche Rustikal“ – ein ziemlich cooles und mitunter fast unheimlich wirkendes Ambiente für die Neonarbeit von Monica Bonvicini oder die Videoinstallationen von Mona Hatoum und Bill Viola.

Neon-Arbeit „So Male“ von Monica Bonvicini (links) und Videoarbeit „Just let me love you / You must have hope / She lay there / I can’t love anymore / Feel your touch“ von Tracey Enim (rechts). Foto / Copyright: Wolfgang Thaler

Haus der Leidenschaft(en)

House of Inciting Passion nennt sich die von Robert Punkenhofer (künstlerischer Direktor der Vienna Art Week) und Julia Hartmann kuratierte Schau, die rund um das Thema Leidenschaft kreist. Leidenschaft in Bezug auf Liebe und Beziehungen, aber auch im Kontext von Arbeit, Politik und Religion – gerade in diesen Tagen ein sehr aktuelles Thema. Auf drei Etagen mit insgesamt 1.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche haben die Kuratoren textile Arbeiten, Videokunst, Installationen von Künstlern versammelt, die flankiert werden von Performances. Einige der Werke wurden speziell für die Ausstellung in Auftrag gegeben, erzählt Robert Punkenhofer bei einem Rundgang am Eröffnungsabend. Lars* Kollros beispielweise hatte den Kuratoren seine Ideen vorgestellt, bekam ein Budget zugeteilt und konnte sie damit in die Realität umsetzen – in einen Dark Room mit Sex Toys, Videoprojektionen und mit Queer Phantasies 1-4 in dunkelrote Baumwollvorhänge mit aufgestickten Motiven, die erotische und pornographische Motive abstrahieren. Dazu werden Texte kombiniert, die sich kritisch mit heteronormativer und patriachaler Sexualität auseinandersetzen. Oder aber Ian Burns: Während er ein Flohmarktbild mit dem Madonna-und-Kind-Motiv kurzerhand um ein echtes Smartphone ergänzt hat, ließ sich Marina Marković am Eröffnungsabend in einer Live-Performance ein Tattoo mit dem Schriftzug der Vienna Art Week tätowieren.

Die textilen Arbeiten von Lars* Kollros sind für die Ausstellung „House of Inciting Passion“ entstanden. Der Künstler hatte auch einen Dark Room gestaltet. Foto / Copyright: Claudia Simone Hoff

Wiener Dark Room: „The hard idea of consent“ von Lars* Kollros. Foto / Copyright: Wolfgang Thaler

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Studio Visits: Nita Tandon & Aldo Giannotti

Wer Atelierbesuche mag, kommt während der Vienna Art Week voll auf seine Kosten. 50 Künstler nahmen unter dem Motto Pass on your passion am Eröffnungswochenende an den Open Studio Days teil – darunter Nita Tandon und Aldo Giannotti, deren Arbeiten unterschiedlicher nicht sein könnten. Ausgewählt wurden die teilnehmenden Künstler von einer Jury, zu der neben Punkenhofer und Hartmann auch die Künstlerin Ramesch Dahi (Präsidentin Wiener Secession) und Verena Kaspar-Eisert (Chefkuratorin MuseumsQuartier) gehörten.

Nita Tandon ist als Professorin an der Universität für angewandte Kunst Wien tätig und arbeitet auch als freie Künstlerin. Foto / Copyright: Clau

In der Atelierküche von Nita Tandon findet man neben Souvenirs aus ihrer Heimat Indien auch einige künstlerische Arbeiten. Foto / Copyright: Claudia Simone Hoff

Eine der wichtigsten Arbeiten von Nita Tandon ist „Standardwerk2 aus dem Jahr 2016. Foto / Copyright: Matthias Bildstein

Nita Tandon arbeitet in einem Atelier im 10. Bezirk, wo ihre abstrakt-komplexen Arbeiten sogar in der kleinen Küche hängen. Als wir sie besuchen, zeigt sie uns das Treppenhaus und wir stellen erstaunt fest, dass es dort mehrere Kellergeschosse gibt (nur eine der vielen Wiener Absurditäten, nebenbei bemerkt). Dort habe sie vor einiger Zeit eine Ausstellung kuratiert, erzählt die gebürtige Inderin. Sie hat in Wien bei Maria Lassnig studiert und arbeitet als Professorin an der Universität für angewandte Kunst. Einer ihrer Schüler dort ist Ramiro Wong, der in der Ausstellung House of Inciting Passion mit einer Food Performance beteiligt war.

Food Performance „Celebrations: Rehearsals for a theater of hospitality“ von Ramiro Wong. Foto / Copyright: Wolfgang Thaler

Ein paar indische Samosas später geht es mit dem Taxi weiter nach Ottakring, wo uns Aldo Giannotti in seinem Atelier begrüßt – umgeben von seinen schwarz-weißen Zeichnungen, einem Bollerofen und dem obligatorischen Espressokocher. Der Italiener wohnt seit rund 20 Jahren in Wien und erzählt von seinen Arbeiten, die immer kontextbezogen sind und sich mit der Interaktion von Architektur, Räumen und Menschen / Usern auseinandersetzen. Für Spatial Dispositions untersuchte er beispielsweise die räumlich komplexe Albertina performativ und installativ mithilfe seiner Zeichnungen. Er wolle Räume schaffen, in denen etwas passiere, sagt er. „Ich hasse Passivität.“

Das Studio von Aldo Giannotti in Ottakring sieht so aus wie man sich gemeinhin ein Künstleratelier vorstellt: mit Bollerofen, verstreuten Arbeiten und ein wenig chaotisch. Foto / Copyright: Claudia Simone Hoff

Der italienische Künstler Aldo Giannotti stammt aus Genua und arbeitet seit rund 20 Jahren in Wien. Foto / Copyright: Lorenz Seidler

Der italienische Künstler Aldo Giannotti stammt aus Genua und arbeitet seit rund 20 Jahren in Wien. Foto / Copyright: Lorenz Seidler

Ach Wien, du bist so wunderbar
Seit ihrer Gründung im Jahr 2005 ist die Vienna Art Week beständig gewachsen. Inzwischen nehmen neben renommierten Künstlern und Newcomern auch Galerien, Museen und andere Wiener Institutionen daran teil. Mit rund 70 Programmpartnern und etwa 100 Veranstaltungen zieht die Veranstaltung jedes Jahr bis zu 30.000 Besucher an und ist damit zu einem der wichtigsten Kunstevents im Donau-Raum avanciert. Die Veranstalter haben es geschafft, namhafte Wiener Kulturinstitutionen mit ins Boot zu holen, beispielsweise die Wiener Secession und Albertina Modern (mit der grandiosen Ausstellung Österreich – Deutschland: Malerei 1970-2020). „Es gibt nur wenige Städte, die so viel Kunst zu bieten haben wie Wien und noch dazu eine solch multikulturelle Szene haben“, sagt Robert Punkenhofer. Auch ein Grund, im nächsten Jahr wiederzukommen – ganz abgesehen von Kaiserschmarrn und dem stahlblauem Novemberhimmel über dem Palmenhaus.


Vienna Art Week
Noch bis 17. November 2023

www.viennaartweek.at


Claudia Simone Hoff

Claudia Simone Hoff schreibt als freie Journalistin für Medien wie WohnDesign, Baunetz ID, Atrium und Schöner Wohnen. Ihre Lieblingsthemen: Kunst, Architektur, Design und Lifestyle. Die Kunsthistorikerin fotografiert alles, was nicht niet und nagelfest ist und arbeitet an ihrem ersten Fotoprojekt. Wenn sie nicht gerade ihre Wahlheimat Berlin erkundet, ist sie auf der Suche nach guten Stories in aller Welt.

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