Die Oper als Partitur - Jorinde Voigt & die Hamburger Staatsoper


Hamburgische Staatsoper Jorinde Voigt Potential © Brita Sonnichsen


Die Hamburgische Staatsoper, ein architektonisches Statement der Nachkriegsmoderne, hat eine Metamorphose erfahren, die weit über bloße architektonische Auffrischungen hinausgeht. Unter der neuen Doppelspitze von Intendant Tobias Kratzer und Generalmusikdirektor Omer Meir Wellber wird die Auseinandersetzung mit Kunst und Musik nicht allein auf die Bühne beschränkt. Vielmehr zielt die jüngste Neugestaltung der Foyers darauf ab, das Haus als einen kohärenten, pulsierenden Organismus zu begreifen, der jeden Besucher unmittelbar in seine kreative Sphäre zieht.

Im Zentrum dieser kuratorischen Entscheidung steht ein imposantes Werk der international renommierten Künstlerin Jorinde Voigt. Voigts Œuvre, das in weltweiten Sammlungen wie dem MoMA in New York vertreten ist, beruht auf der einzigartigen Methode, Unsichtbares in exakte, doch lyrische Notationen zu übersetzen.

Ihre Arbeiten sind Kartografien innerer und äußerer Dynamiken. Sie visualisiert Flugbahnen, Zeitkomponenten oder die emotionale Dichte von Texten. Für das Parkettfoyer der Staatsoper adaptierte Voigt diese Methodik in eine neue Dimension. Das Bodengemälde Potential ist keine Leinwand, sondern eine ortsspezifische, immersiv erlebbare Komposition.

In leuchtenden Korall- und Amethyst-Tönen, die sich subtil in die wiederbelebte Mid-Century-Ästhetik des Foyers einfügen, übersetzt Potential die immateriellen Energien des Hauses. Es ist eine abstrakte Partitur, die sich über den Boden zieht und dabei die Frequenz des Ortes durch das Zusammenwirken von Architektur, Erwartung und dem schöpferischen Prozess, der sich hinter den Türen des Saales entfaltet, sichtbar macht.

Die Linien und Farbflächen wirken wie eine wissenschaftlich und zugleich sinnliche Aufzeichnung, die den statischen Raum in einen Fluss von Bewegung und Wahrnehmung transformiert. Der tiefere Reiz dieser Intervention liegt in ihrer Aufforderung zur Interaktion. Der Besucher wird bei jedem Schritt über Potential nicht zum distanzierten Betrachter, sondern zum physischen Element der Komposition. Voigt bricht mit der Konvention, Kunst im öffentlichen Raum als isoliertes, ehrfurchtgebietendes Objekt zu behandeln.

Hamburgische Staatsoper Jorinde Voigt Potential © Brita Sonnichsen

Hamburgische Staatsoper Jorinde Voigt Potential © Brita Sonnichsen

Die Gestaltung des Foyers, maßgeblich betreut von THE STUDIOS – Excellence in Brand Design und dem international renommierten Bühnenbildner Rainer Sellmaier, reflektiert diese Philosophie der Offenheit. Neu interpretierte Tresen in der Formensprache der 50er-Jahre sowie die Reaktivierung der goldenen Säulen im Eingangsbereich stellen nicht nur eine Rückbesinnung auf die ursprüngliche Eleganz dar, sondern verbinden symbolisch das Innere der Oper mit der urbanen Öffentlichkeit Hamburgs. Die Foyers sollen nun weniger als Übergangszone dienen, sondern als einladender Treffpunkt, eine Verlängerung des städtischen Lebens.

Die architektonische Öffnung korrespondiert direkt mit der programmatischen Vision der neuen Führung. Kratzer und Wellber setzen auf eine Verjüngung des Repertoires und eine stärkere thematische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Fragestellungen. Die Auswahl der Werke, von ambitionierten Neuproduktionen bis hin zu selten gespielten Stücken, signalisiert den Anspruch, das Opernhaus als einen Ort des zeitgenössischen Diskurses neu zu verankern.


Hamburgische Staatsoper | Große Theaterstraße 25 | 20354 Hamburg
www.die-hamburgische-staatsoper.de


Anne Harting

Chefredakteurin und Herausgeberin

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